Wie gewinne ich in Diskussionen?

Ostern steht vor der Tür: das bedeutet Besuche bei Verwandten, Freunden, man trifft alte Bekannte, endlich sieht man sich mal wieder! Was ja eigentlich Grund zur Freude ist – wären da nicht diese Themen, die derzeit in jeder Gesprächsrunde hochkommen. Themen, zu denen eigentlich schon alles gesagt wurde, aber scheinbar noch nicht von jedem.

Wie rüstet man sich für solche Diskussionen?

Lange Zeit konnten wir ganz bequem mit unterschiedlichen Meinungen nebeneinander leben und befreundet bleiben. Doch inzwischen gibt es kein „damit kenn ich mich nicht so aus“ mehr oder „ist mir nicht so wichtig“. Man gehört entweder zu den einen oder zu den anderen. Was ich eher aus Diskursen um religiöse Meinungen und Gruppierungen kannte – denen man ganz gut aus dem Weg gehen konnte, wenn man es wollte – hat sich ausgeweitet auf zahlreiche gesellschaftliche Themen, in denen man sich nicht einfach neutral stellen kann.

Die ersten Tendenzen begannen mit der Flüchtlingspolitik, dem Klimawandel, Gendern, dann kam Corona, die Maßnahmen, die Impfung, jetzt der Krieg in der Ukraine.

Eines ist in diesen letzten Jahren offenbar geworden: die meisten von uns tun sich schwer im vernünftigem Argumentieren. Viele wissen nicht, was ein wissenschaftlicher Beweis ist, welche wissenschaftliche Erkenntnis immernoch kein Beweis ist, und wann es an der Zeit ist, die eigene Position aufzugeben.      

Diese 6 Punkte helfen, an scheinbar hoffnungslosen Diskussionen nicht zu verzweifeln.

1. Wie stichhaltig sind Fakten und Beweise?

Wer diskutiert, bringt zwangsläufig Fakten ein, die er nicht selber überprüft hat. Anders geht’s auch kaum, aus eigener Erfahrung kennt jeder nur einen winzigen Bruchteil der Welt. Wir müssen einfach glauben, dass die Erde eine Kugel ist. Mit eigenen Augen gesehen haben das nur 568 Menschen. Habe ich gelesen. Alle selbst befragt und jeden Fall nachgeprüft habe ich nicht, nur einen Austronauten habe ich live dazu gehört. Auch die Mondlandung kenne ich nur von Bildern anderer. Was wir für wahr halten, haben wir aus Dokus, Büchern, Nachrichten, Youtube, von Freunden und Experten.

Lange Zeit nahm man vieles als Gegeben hin. Inzwischen kommen Diskussionen nicht mehr ohne Belege aus. Sich auf einen Experten zu berufen, macht es auch nicht einfacher, denn mit Sicherheit kennt der Gesprächspartner mindestens einen renommierten Wissenschaftler, der das glatte Gegenteil behauptet. Ist die Diskussion damit beendet? Und ist jede Behauptung richtig, solange es Experten gibt, die sie bestätigen?

Hier liegt der Knackpunkt: Aus Mangel an eigenem Fachwissen wird Wissenschaft oft für das gehalten, was ein Wissenschaftler sagt. Sagen Wissenschaftler unterschiedliche Dinge, sucht man sich den passenden aus.

Was man beachten sollte, wenn man die Wissenschaft ins Feld führt: wissenschaftliche Belege werden durch Beobachtungen und Experimente erhoben und entsprechen höchstens dem bisherigen Stand der Kenntnisse. Jederzeit besteht eine Möglichkeit, dass wissenschaftliche Erkenntnisse durch neue Berechnungen, Beobachtungen und Experimente widerlegt werden.

Beispiel: die Urknalltheorie entstand durch Georges Lemaitre, katholischer Priester und Astrophysiker. Er entdeckte 1927, dass die Galaxien voneinader wegdriften und sich das Universum ausdehnt. Lemaitre glaubte, diese Ausdehnung hatte ihren Anfang in einem einzigen Punkt, dem Urknall. Das wird seit fast 100 Jahren an den Schulen gelehrt.

Der Wissenschaftler Nikodem Poplawski dagegen glaubt heute, dass nicht der „Big Bang“ der Start unseres Universums war, sondern ein großer Rückprall „Big Bounce“, verursacht durch den explodierenden Kern eines Schwarzen Lochs. Dass wir möglicherweise in einem Schwarzen Loch leben. Und nein, Schwarze Löcher funktionieren nicht wie Staubsauger, obwohl das fast jeder so gehört hat. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=mgXv3aE5eQc

Beweisen lässt sich natürlich weder die eine noch die andere Theorie.

Werden Fakten als Zeugen angeführt, muss klar sein, dass Fakten und Erkenntnisse grundsätzlich falsifizierbar sind. Umgekehrt lässt sich ein Gegenteil nicht 100%ig belegen. Beispiel: Dass alle Schwäne weiß sind, bewährt sich zwar mit jeder Sichtung eines weißen Schwans, aber bewiesen ist es nicht mal beim Millionsten weißen Schwan. Ein einziger schwarzer Schwan reicht, um die Hypothese zu Fall zu bringen. Zu beweisen, dass es etwas nicht gibt, ist aus logischen Gründen unmöglich.

2. Einzelfall ist nicht Regelfall

„Wer viel raucht, stirbt früher“ – „Kann sein, aber mein Onkel hat jeden Tag zwei Päckchen geraucht, bis er mit 97 in seiner Stammkneipe tot vom Barhocker gefallen ist.“

Dieser Onkel erfüllt zwei Funktionen zugleich: Zum einen gibt er Hoffnung, es könne einem ähnlich ergehen, zum andern erschüttert er die Glaubwürdigkeit der Statistik. Diskutiert man über die Gefährlichkeit des Rauchens, ist dieser Onkel aber kein gültiges Argument. Denn Statistiken nennen die Durchschnittswerte vieler Einzelfälle. Für jeden 97-jährigen Onkel gibt es also auf der anderen Seite des Mittelwerts auch einen 35-jährigen Neffen, der an den Folgen des Rauchens gestorben ist. Aber der wird in diesen Diskussionen nie genannt.

Solche Einzelfälle haben wir alle schon mal in Diskussionen eingebracht. Dagegen haben Statistiken kaum eine Chance, denn der Einzelfall ist keine Zahlenkolonne, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit einem Gesicht, dem wir in die Augen sehen können.

Eigene Erfahrungen nicht generell über die Erkenntnisse anderer zu stellen, ist unerhört herausfordernd. Es verlangt, uns auch mal uns selbst zu misstrauen und unser Weltbild nicht als das einzige Maß der Dinge zu sehen.

3. Ereignisse, die kurz nacheinander folgen, hängen nicht automatisch zusammen

Ein Student veranschaulichte dies, indem er nach Ereignissen suchte, die über Jahre parallel stattfanden, aber nichts miteinander zu tun hatten, wie die Scheidungsrate im US-Bundesstaat Maine und der Pro-Kopf-Konsum von Margarine. Oder die Population der Weißstörche und die Geburtsrate in den Niederlanden. Tatsache ist, Paare lassen sich nicht häufiger scheiden, wenn mehr Margarine gegessen wird. Und es werden in den Niederlanden nicht mehr Kinder geboren, weil es mehr Störche gibt.

Wir Menschen sind eben genial in der Erkennung von Mustern. Sowohl räumliche als auch zeitliche Muster. Wir sind meisterhaft darin, Gesichter und Gegenden zu erkennen, wir sind auch hervorragend darin, von Ereignissen auf ihre Auslöser zu schließen. Von den Kopfschmerzen nach der durchfeierten Nacht, wie auch von der zerbrochen Vase auf dem Boden und den Ball einen halben Meter weiter.

Diese Fähigkeit ist so ausgeprägt in uns, dass wir auch dann Muster erkennen, wenn keine da sind. Bilder von optischen Täuschungen belegen das.

4. Was würde dich vom Gegenteil überzeugen?

Wem nichts einfällt, gibt zu, dass jede weitere Diskussion sinnlos ist. Wer sich durch kein Argument vom Gegenteil überzeugen lassen würde, der hat keine Meinung, sondern einen Glauben.

Was keineswegs verkehrt ist, solange man sich dessen bewusst ist.

5. Seine Meinung ändern zu können, zeugt nicht von Schwäche

Menschen, die gegen jeden Widerstand an ihrer Meinung festhalten, gelten als charakterstark, prinzipientreu, standfest und loyal. Meinungen senden auch immer ein soziales Signal, sie zeigen, zu welcher Gruppe wir gehören. Deshalb fühlt sich ein Meinungswechsel immer etwas wie ein Verrat an.

Wir verfügen deshalb über eine ganze Reihe von Hilfsmitteln, die unsere Meinung stützen und uns darin festhalten: Neuen Argumenten gegenüber sind wir selektiv kritisch, wir suchen nach Informationen, die uns in unserer Meinung bestätigen und wir halten eher das für wahr, was wir für wahr halten wollen. Das machen wir alle, bloß erkennen wir es viel eher bei andern, als bei uns selbst.

Die Fähigkeit, seine Meinung aufgrund neuer Informationen zu ändern, nimmt mit steigender Bildung nicht zu, verschiedenen Studien zufolge nimmt sie ab. Demnach setzen Intellektuelle ihre Geisteskraft eher nicht dazu ein, neues Wissen zu evaluieren und ihre Ansichten zu überprüfen, sondern dazu, ihre bisherige Haltung weiter zu festigen und Widersprüche wegzuerklären.

Doch wer in der Lage ist, seine Meinung zu ändern, zeigt, dass er etwas dazugelernt hat. Und dass er charakterstark genug ist, für seine neue Meinung einzutreten, aller eventuellen sozialen Ächtungen zum Trotz.

6. Jeder glaubt, die Welt objektiv zu sehen

Alle glauben, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist. Daraus folgt: Wer die Welt nicht so sieht wie ich, ist entweder schlecht informiert, dumm oder böse.

Und hier liegt das Problem: jeder denkt so und niemand kann sich davon freisprechen. Dieser Glaube ist auch nicht grundlos in uns verankert, denn wenn wir ständig an unserer Wahrnehmung zweifelten, wären wir handlungsunfähig.

Wir müssen also damit rechnen, an Ostern auf Leute zu treffen, welche ihre Auffassung mit unzulässigen Argumenten untermauern werden. Sie werden mein Beispiel als Einzelfall entlarven und für unhaltbar erklären. Sie werden Experten zitieren, die sie für kompetenter halten, als meine. Sie werden Ereignisfolgen Muster zuschreiben, die aus meiner Sicht in absolut keiner Verbindung miteinander stehen. Sie werden auf ihrer Meinung beharren, egal wie viel besser meine Argumente sein werden.

Es ist nicht einfach zu akzeptieren, dass Gott für meine Ansichten keinen besonders hohen Platz im Universum reserviert hat.

Fazit:

Menschen können andere Meinungen vertreten, ohne schlecht informiert, dumm oder boshaft zu sein. Möglicherweise sind sie, trotz derselben Fakten, die auch mir zugrunde liegen, zu anderen Schlüssen gekommen.

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