Der Christenheit wird gern rückständiges Denken angekreidet. Schon im Mittelalter wehrte sich die Kirche gegen die Erkenntnis, dass die Erde eine Kugel ist, die sich um die Sonne dreht. Doch die Überzeugung, die Sonne umkreise die Erde, gründet nicht in der Bibel, sondern ist von Aristoteles.
Ebenso die Vorstellung von Gott, der in sich ruht und über allem steht, außerhalb von Raum und Zeit, ist tatsächlich Aristoteles Gedankengut.
Woher aber kommt diese Vermischung?
Ich war echt geplättet, als ich merkte, wie viel näher mein Denken über Gott und die Welt an griechischer Philosophie ist, als an der Bibel. Und das obwohl ich das Christentum mit der Muttermilch aufgesogen habe. Sind Dogmen wie Erbsünde, die Trennung in fleischlich-seelisch und in geistlich, die Vorsehung aller Dinge und eine zeitlose Ewigkeit wirklich so in der Bibel?
Mir geht es in diesem Artikel nicht um falsche Lehren, ob und wer möglicherweise welche in Umlauf gebracht hat. Mein Ziel ist, dafür zu sensibilisieren, dass unsere Wahrnehmung und Einsichten immer zunächst die Filter unserer Prägungen durchlaufen.
Weil griechische Philosophie kaum thematisiert wird, erkennen wir sie nicht, wenn sie uns im christlichen Mäntelchen begegnet. Werden die jüdisch-hebräisch konzipierten Schriften der Bibel mit griechischer Systematik gedeutet, fällt uns das Paradoxe daran gar nicht auf. Davon abgesehen ist uns das Jüdisch-Hebräische auch kaum geläufig. Sicher, Gott kündigt niemandem die Vaterschaft wegen theologischen Fehleinschätzungen. Sonst würde Jesus wohl ein Einzelkind bleiben.
Warum lohnt es sich, dennoch einen Blick darauf zu werfen?
Weil unsere Beziehung zu Gott von unserem theologischen Verständnis gesteuert wird. Ist Gott in meiner Vorstellung beispielsweise ein ernster, alter Mann, dann begegne ich ihm entsprechend. Und ich erwarte von ihm, was man von einem ernsten, alten Mann eben erwarten kann.
Also, welche Griechisch-Hellenistischen Vorstellungen verfärben unsere Meinung über Gott und belasten damit womöglich den Zugang zu unserem himmlischen Vater?
Griechische Philosophie ist der Bibel nicht immer diametral entgegengesetzt. Einiges lässt sich durchaus überein bringen. Wollen wir jedoch das eine vom anderen sauber trennen, müssen wir die Grundlagen der nicht-von-Gott inspirierten Quellen kennen. Dazu muss man wissen, schon das Judentum blieb nicht unbeeinflusst von fremden Strömungen. Als Alexander der Große im Jahr 332 v. Chr. Palästina eroberte, wurde es Teil des griechischen Weltreichs. Die Kontakte zu den neuen Eroberern wirkten sich tiefgreifend auf das religiöse Denken der Juden aus und griechisch-hellenistisches Gedankengut sickerte in die jüdische Bildung ein. Mit der Zeit ging das griechische Weltreich im Römischen auf, viele griechisch-hellenistische Ideologien wurden dabei übernommen. In diesem historischen Kontext entstand das Christentum.
Nun tauscht man durch Hinwendung zu Jesus nicht augenblicklich seine Prägung. Ein Sinneswandel beginnt mit einem tiefgreifenden Erlebnis und entwickelt sich dann progressiv, gemäß den neuen Erkenntnissen. Wo aber noch keine neuen Erkenntnisse waren, integrierte sich das christliche Welt- und Gottesverständnis in das Vorhandene.
Die frühe westliche Kirche stützte sich wegen ihrer greco-romanischen Wurzeln nicht auf das Alte Testament in Hebräisch, sondern auf die griechische Septuaginta, später auch auf die lateinische Vulgata. Allein durch die Übersetzung wurden Inhalte leicht griechisch-hellenistisch und altrömisch modifiziert.
Parallel entwickelten sich auch philosophische und religiösen Lehren der Alten Griechen wie Platon weiter. Diese Weltanschauung über die Trennung von geistlicher und materieller Welt, über Wahrheit, Zeit, Seelenlehre und Ethik sollte auch das Christentum nachhaltig beeinflussen, denn sie alle lebten unter diesem Zeitgeist.
So kam es, dass die Kirche im Laufe der Jahrhunderte Gott zum „Unbewegten Beweger“ formte. Unbewegt im Sinne von emotionslos, zeitlos, unveränderlich, unvergänglich. Dieser Glaube spiegelte sich in der Bauweise der Kirchen. Dieser Gott lebte in riesigen Kathedralen aus massiven Wänden, mit gewaltigen, hohen Türmen. Er ließ sich anbeten in ruhigen, festgelegten lateinischen Gebeten und Gesängen. Noch heute erleben wir die Auswirkungen dieser Ansicht, wenn Menschen eine Kirche betreten. Die übliche Reaktion ist still werden und Einkehr.
Griechische Philosophie wurde im Lauf der Geschichte zum Grundstein für theologische Betrachtungen. Theologie und Philosophie wurden die Königsklasse der Bildung im späten Mittelalter. Zur Zeit der Reformation gab es etwa 80 Universitäten in Europa, die allesamt durch den Klerus gegründet und gefördert wurden. Wissenschaft entwickelte sich in Europa deswegen so erfolgreich, weil die Kirche die Ressourcen und die Plattform dafür bot.
Einige Beispiele bekannter Kirchenlehrer, die von den Alten Griechen geprägt waren:
- Augustinus, einer der einflussreichsten Kirchenväter und Theologen aus dem 4. Jhdt. gehört zu denen, die das christliche Gedankengut entscheidend geprägt haben. Er hatte griechische Philosophie studiert und übernahm Lehren des Neuplatonismus. Augustinus erschloss zahlreiche theologische Themen und wurde besonders bekannt durch seine Abhandlung von der Erbsünde. Er war der Auffassung, dass die Sünde Adams durch Vererbung in die Menschheit eingedrungen sei. Augustinus Lehren von der Erbsünde stachen besonders heraus im Streit gegen den asketischen Mönch Pelagius, der glaubte, dass jedes Baby vorerst unschuldig sei. Augustinus Sicht setzte sich durch, wobei die Kirche es etwas abschwächte, indem sie die Meinung vertrat, dass Menschen zwar Adams sündige Natur geerbt hätten, aber nicht seine Schuld.
Augustinus schrieb weiterhin ein Buch über den „Gottesstaat“. Die Zerstörung der irdischen, zeitlichen Reiche wären Grundvoraussetzung für den Triumph des himmlischen Reiches auf Erden. Es half den damaligen Christen, den Zerfall des Römischen Reiches zu überwinden und gab ihnen neue Hoffnung.
In der New Encyclopædia Britannica wird über Augustinus gesagt: „In seinem Geist verschmolz die Religion des Neuen Testaments am vollständigsten mit der platonischen Überlieferung der griechischen Philosophie“
Fraglos war Augustinus ein großer Verfechter und Lehrer des christlichen Glaubens. Doch seine dualistische Grundauffassung begrenzte eben auch manche seiner Gedankengänge. So wie die Vorstellung einer vom Körper getrennten Seele, die tatsächlich im Plotinismus fußt. Plotin war es, der Materie als schlecht bezeichnete. Er hielt sie für das Schlechteste von allem und auch für die Ursache, dass schwache Seelen sich der Materie zuwenden und dadurch noch weiter geschwächt werden.
Die bipolare Anschauung von Geistlich versus Natürlich, sowie die Herabwürdigung von Materie, Körper und Seele steht im Gegensatz zur Ganzheitlichkeit des Jüdisch-Hebräischen, welche Körper, Seele und Geist nicht in Einzelteile dividiert, sondern als Eins ansieht. Auch trennt das Jüdisch-Hebräische nicht die Bereiche von Natürlich und Übernatürlich. In diesem Artikel findest du mehr über die Unterschiede zwischen der Griechisch-Hellenistischen und der Jüdisch-Hebräischen Denkweise.
- Thomas von Aquin, bekannt für seine logischen Gottesbeweise, war ein weiterer bedeutender Kirchenlehrer und einflussreicher Philosoph. Ihm wird die Synthese antiker Philosophie und christlicher Dogmatik zugeschrieben.
- Auch Martin Luther war ein Kind seiner Zeit. Mit seiner akademischen Laufbahn und später als Augustinermönch, war er mitgeprägt von griechisch-hellenistischen Konzepten. Er rang mit dem Konzept der Erbsünde, vermochte jedoch nicht, sich davon zu lösen.
- Sein Zeitgenosse Johannes Calvin hatte zunächst römisches Recht studiert und begeisterte sich für humanistische Studien, bevor er großer Reformator Westeuropas wurde. Er übernahm die Vorstellung von Gott als den Unbeweglichen, Unveränderlichen und ohne Zeit Existierenden. Für Gott gäbe es weder Gegenwart noch Zukunft, was auf Lehren Platons, Aristoteles und Sokrates basiert.
Ein weiterer Leitgedanke Calvins ist die „Souveränität Gottes“ als Ursache aller Dinge. Demnach geschähe nichts ohne Wissen und die Erlaubnis Gottes. Gott sei die einzige Quelle für alles und damit auch verantwortlich für alles was in der gesamten Welt geschieht. Damit hat Gott die Kontrolle und Steuerung über jeden und alles, was sich im gesamten Universum vollzieht. Daraus folgend gibt es für alles und jedes eine Vorsehung, eine Prädestination. Manche sind demnach Auserwählte, manche sind es nicht. Und es gäbe niemanden und nichts, das Gott davon abhielte, von der Vorherbestimmung abzuweichen.
Wenn dem so ist, wäre nicht jede Bitte hinfällig, denn das Ergebnis stünde doch ohnehin fest?
Die Bibel lehrt natürlich, dass Gott sich in seinem Wesen nicht wandelt. Sein Charakter ist beständig und er hält sich treu an sein Wort. s. 4.Mose 23,19
Manche seiner Pläne jedoch hat Gott im Lauf der Geschichte geändert. Nämlich dann, wenn Menschen ihre Haltung änderten. Viele Stellen der Schrift beschreiben, wie Gott Zerstörung ankündigte, als Folge von kollektiver Sünde. Doch die Fürbitte seiner Vertrauten und die Umkehr des Volkes ließen ihn umstimmen.
Folgende Schriftstellen belegen dies: 2.Mose 32,14; 2.Mose 33,1–3 + 12-14 4.Mose 16,20–35 1.Könige 21,21–29; 2.Chronik 12,5–8; Jeremia 26,2–3, V. 19; Amos 7,1–6; Jona 3,10
Betrachten wir 2.Mose 32,9-14 als Gott gerade den Bund am Sinai geschlossen hatte und das Volk unmittelbar darauf aus ihrer Beute das goldene Kalb goss und es anbetete. Gott rastete aus vor Zorn und sagte, er wolle das Volk vernichten und werde aus Mose eine neue Nation machen. Der war damals bereits 80 Jahre alt. Mose flehte zum HERRN und argumentierte mit ihm, sein Volk doch zu bewahren. Dann heißt es:
„Da gereute den HERRN das Unheil, von dem er gesagt hatte, er werde es seinem Volk antun.“
Mose und Abraham (s. 1.Mose 18,20ff) hatten die Einstellung, mit Gott zu verhandeln, um drohendes Unheil abzuwenden, obwohl sie wussten, sie selbst würden ohnehin verschont bleiben. Und Gott ging offen auf ihre Argumente ein.
Auch heute gibt es immer wieder apokalyptische Prophetien, die Endzeit ist ein Dauerbrenner. Viele reagieren auf solche Ankündigungen mit Weitersagen, dann Abwarten und Zuschauen. Doch bezeugen die oben aufgeführten Schriftstellen nicht, dass es möglich ist, wenn nicht sogar unsere Aufgabe, durch Fürbitte und Umkehr Übles abzuwenden? Und dafür zu sorgen, dass die guten Absichten Gottes auf Erden umgesetzt werden, so wie bereits im Himmel.
Die Souveränität Gottes lässt sich statt einer in Stein gemeißelten Vorsehung auch so ausgelegen, dass Gott niemandem Rechenschaft schuldig ist.
Der Unterschied zur Definition Calvins liegt darin, dass Gott alles verursachen kann, wenn er es will. Gott könnte in seinen grenzenlosen Möglichkeiten alles und jeden kontrollieren und steuern, hat sich aber entschieden, es nicht zu tun. Er legte Naturgesetze fest und überließ vieles in der Schöpfung dem Lauf dieser Gesetzmäßigkeiten und Prinzipien, wie die Schwerkraft, Photosynthese, Saat und Ernte, etc.
Die Regierung über seine Schöpfung übertrug Gott dem Menschen. Siehe Psalm 115,16 „Der Himmel ist der Himmel des HERRN, die Erde aber hat er den Menschenkindern gegeben.„
Fazit:
Der Calvinismus ebenso wie die Lehren des Augustinus, Thomas von Aquin und zahlreicher Theologen sind methodisch wie systematisch exzellent durchdachte Theorien.
Manche ihrer Hypothesen haben ihren Ursprung aber weniger in biblischen Schriften, als eher in philosophischen Gedanken über Gott. Ihre Prägung beeinflusste, wie sie die biblischen Schriften interpretierten.
Sie mögen brillieren mit bemerkenswerten Gedanken, scharfsinnigen, teils gar außerordentlich hoch komplexen Ausführungen. Doch dies allein besagt noch nicht, dass sie auch immer den wahren Kern getroffen hätten.
Lass dich anregen, deine eigenen Dogmen, aber auch Lehrmeinungen zu prüfen, gemäß 1.Thessalonischer 5,20-21 „Weissagungen verachtet nicht, prüft aber alles, das Gute haltet fest!„
Wäge ab, was davon weiterhin Bestand hat, in deiner Beziehung zu deinem himmlischen Vater.
Danke! Sehr gut geschrieben. 😄
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Vielen Dank, Volkmar! Ich bin hocherfreut!
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